Die Finanzkrise hat nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch bei Professoren der Volkswirtschaftslehre nachhaltige Eindrücke hinterlassen. Eine Mehrheit der befragten Ökonomen nimmt ein zunehmendes Hinterfragen der Modelle und der Modellannahmen in der Lehre seitens ihrer Studierenden wahr. Dies zeigt die Auswertung des aktuellen Ökonomenpanels von ifo und FAZ. „Die Verhaltensökonomik gehört zu den Gewinnern der Finanzkrise“, erklärt Niklas Potrafke, Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie, und ergänzt: „Die empirische Wirtschaftsforschung hat ebenfalls an Bedeutung gewonnen.“
Der generelle Einfluss der Volkswirte auf die Politik und öffentliche Meinung wird als steigerungsbedürftig angesehen. Eine überwältigende Mehrheit von 77 Prozent der befragten Ökonomen glaubt nicht, dass sich der Einfluss von Ökonomen auf die Politik durch die Finanzkrise erhöht hat. „Aber: Die Ökonomen wünschen sich einen größeren Einfluss auf die Politik“, sagt Potrafke und verweist auf eine Mehrheit von 71 Prozent der Befragten, die der Aussage, dass Ökonomen einen größeren Einfluss auf die Politik haben sollten, zustimmen. Ein vergleichbares Bild zeichnet sich bei der Frage nach dem Einfluss von Ökonomen auf die öffentliche Meinung ab. Eine ähnlich deutliche Mehrheit von 78 Prozent der befragten Ökonomen glaubt nicht, dass sich der Einfluss von Ökonomen auf die öffentliche Meinung durch die Finanzkrise erhöht hat, und eine deutliche Mehrheit der teilnehmenden Ökonomen (66 Prozent) würden einen weitreichenderen Einfluss begrüßen.
Einen Ansehensverlust der Ökonomen im Zuge der Finanzkrise sieht eine Mehrheit der Wirtschaftsprofessoren, vor allem in den Bereichen Makroökonomik, Finanzmarktökonomik und der Konjunkturtheorie.
Zur Kritik, die Zunft hätte die Finanzkrise nicht vorhergesehen, bezieht Isabel Schnabel, Mitglied des Sachverständigenrats, Stellung: „Den häufig geäußerten Vorwurf, die Ökonomen hätten die Finanzkrise nicht vorhergesehen, halte ich für falsch. Richtig ist hingegen, dass die Bedeutung des Finanzsystems für makroökonomische Zusammenhänge unterschätzt wurde. Gerade in diesem Bereich ist die Forschung seit der Finanzkrise sehr aktiv.“
An der Juli-Umfrage des Ökonomenpanels haben knapp 150 Professoren der Volkswirtschaftslehre teilgenommen.