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Nur wer sie schenkt, bekommt sie auch: Kampf um die Kunden – Weshalb Aufmerksamkeit die härteste Währung der Welt ist

Nirgendwo sonst wird der Zuspruch von Kunden und Konsumenten so akribisch gemessen wie im Marketing. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, ob und wie genau gesendete Botschaften ankommen und in Verkäufe münden. Dabei ist eines sicher: Die naturgemäß so knappe Ressource Aufmerksamkeit wird umso kostbarer, je mehr Sender um sie buhlen. Wir alle schenken Produkten und Botschaften genauso wie unserem Gegenüber immer weniger davon. Außerdem nimmt die „Aufmerksamkeitsspanne“ ab – der Zeitraum, in dem man sich voll auf eine Sache konzentrieren kann. Dauerte sie im Jahr 2000 noch 12 Sekunden an, ist sie inzwischen auf unter acht Sekunden gesunken. Der tägliche Kampf um die Aufmerksamkeit ist der härteste Kampf im gesellschaftlichen Miteinander geworden – unter den Menschen genauso wie zwischen Unternehmen und ihren Kunden.

Wie noch auffallen, als Firma mit einem Produkt wie als Mensch mit sich selbst? Wie den „Share of Voice“ bekommen, seinen Anteil an Beachtung aus der begehrten Zielgruppe, die man mit allen anderen Anbietern teilen muss? Die – inzwischen zu einfachen – Antworten auf diese Fragen sind, dass heute dafür alles besonders schnell, bunt, laut und vor allem billig sein muss. Die Ware muss raus, morgen kommt neue! Der auch in Europa angekommene „Black Friday“ – der Freitag nach Thanksgiving läutet in den USA mit irrsinnigen Rabatten das Weihnachtsgeschäft ein – wird beim Elektrohändler Saturn gleich zur „Black Week mit exklusiven Angeboten, täglich neuen Hightech-Highlights und stündlich wechselnden Schnäppchen“. Doch bei den 14.000 „Beachte mich!“ und „Kauf mich!“ Botschaften, denen jeder Mensch täglich ausgesetzt ist, ist niemand dauerhaft auf diese Art erfolgreich. Vielmehr gilt: Nur wer auf seine Kunden hört und wirklich weiß, was sie sich wünschen, und ihnen dann die Aufmerksamkeit gibt, die sie verdienen, braucht bei so etwas Selbstzerstörerischem nicht mitzumachen. Wer allerdings unsicher ist und vergisst, beim wertvollen Miteinander mit der Zeit zu gehen, gerät aus der Spur und braucht den kurz gedachten Mehr-Sein-als-Schein-Hebel. Dabei geht es nicht länger gut, am lautesten zu schreien. Stattdessen muss der Sender eine begehrliche Marke zu sein, die vor allem Empfänger der Signale des bindungswilligen Konsumenten ist und ihn endlich wieder ernstnimmt. 

Fragt man Kunden zu ihren Beziehungen zu bekannten Unternehmen – was sie von Marken erwarten, wie sie einbezogen werden wollen und welchen Einfluss eine gelungene Einbindung auf ihre Kaufbereitschaft hat –, wünschen sie sich durchweg eine wertschätzende Beziehung auf Augenhöhe. Sie wollen vor allem, dass Unternehmen ihnen zuhören und sie verstehen. Allerdings bestätigen nur die wenigsten ein enges Verhältnis zu einer Marke oder dass sie sich wirklich gehört fühlen. Etliche sagen sogar, dass die Unternehmen sich allein aus egoistischen Gründen für sie interessieren. Dabei ist das Erkennen und Erfüllen wahrer Konsumentenbedürfnisse ein zentraler Schlüssel zu nachhaltigem wirtschaftlichem Erfolg. Anbieter, die das schaffen, werden signifikant mehr empfohlen, gekauft und sogar verteidigt. Fazit: Marken, die Konsumenten und ihre Wünsche erhören, werden mit höherer Kaufbereitschaft und Weiterempfehlung belohnt. Voraussetzung dafür ist, nicht nur Bedürfnisse zu erfragen, sondern vor allem das gesamte Handeln auf die Antworten abzustimmen.

Wie das nicht geht, machte Henkel vor, als man für das Geschirrspülmittel Pril ein neues Design und einen neuen Slogan suchte. Das Unternehmen schrieb einen Wettbewerb in den sozialen Netzwerken aus. Und versprach, das Design mit den meisten Stimmen aus den Reihen der Crowd werde in den Handel kommen. An sich ein guter Ansatz für neues Zuhören. Mehr als 30.000 User machten mit. Der Entwurf mit einem hingekrakelten geflügelten Etwas und dem Spruch „Schmeckt lecker nach Hähnchen“ gewann mit über 3.500 Stimmen. Da setzte Henkel plötzlich eine Jury ein. Die selektierte die Vorschläge und gab nur noch einige wenige, ihr genehme Kandidaten zur weiteren Abstimmung frei. Das bot erstes Futter für einen veritablen Shitstorm im Netz. Als sich dann noch herausstellte, dass für den ursprünglich zweitplatzierten Vorschlag „mit leckerem Brezelduft“ weniger als die abgegebenen Stimmen registriert waren, war der PR-GAU perfekt. Das Marketing bei Henkel argumentierte, das Design müsse schließlich zur Marke passen. Draußen in der Konsumentenwelt interessierte das allerdings niemanden. Das Learning: Im wertschätzenden Umgang mit der so hochsensiblen wie kritisch gewordenen Community hat man immer nur einen Schuss. Und der muss sitzen.

Wer es schafft, beachtet zu werden, profitiert in vielerlei Hinsicht: Er wird wahrgenommen, bekommt Gehör, fühlt sich wertgeschätzt, ist gefragt. All das verspricht Profit in vielerlei Hinsicht – emotional für die Sinne und das Wohlbefinden, rational bei Umsatz und Gewinn. All das zu planen und für die eigenen Zwecke zu nutzen ist anspruchsvoll, und nicht jeder Vorstoß gelingt. Wichtige Voraussetzungen dafür, dass es klappt, sind auf der einen Seite echtes und ehrliches Verständnis für die Anliegen des anderen. Auf der anderen Seite ist dafür das konsequent darauf abgestimmte sinnstiftende Handeln nötig. Erst die schlüssige Kombination aus beidem erzeugt den Sog. Der sorgt dafür, dass man weniger tun muss, um mehr zu erreichen. So ergibt sich der „Pull-Effekt“, den alle wollen – diese gewisse Anziehungskraft profilierter Menschen genauso wie profilierter Unternehmen und Produkte. Wer sie hat, wird begehrt und muss nicht ständig „Beachte mich!“ und „Kauf mich!“ brüllen (im Gegensatz zur gegenteiligen Strategie – dem „Push-Marketing“). So ist es wirklich smart: Die besondere Kombination aus dem nachvollziehbaren Nutzwert (Was habe ich von dem Angebot?), dem Erscheinungsbild (Wie kommt es rüber?) und einer gewissen Gewitztheit (Inwiefern bereichert es mich?) sorgt für mehr und hochwertigere Aufmerksamkeit als das kakophonische Dröhnen aus all den üblichen Werbebotschaften. Und so für die stärkere Kundenbindung und mehr Umsatz und Gewinn.

Gelebte entgegengebrachte wie bekommene Aufmerksamkeit ist die härteste Währung, die es gibt. Dagegen sind Euro und Dollar nur vergängliche Tausch- und Zahlungsmittel, die fortwährend Risiken und Schwankungen unterliegen. Aus dieser Warte betrachtet, ist die Aufmerksamkeit nicht nur das härteste, sondern sogar das stabilste Zahlungsmittel. Und zwar nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht: immer willkommen, immer anerkannt, immer gut für ein Tauschgeschäft. Es gibt dafür

  • das Interesse an Unternehmen, Produkten und Dienstleistungen
  • die Erwiderung von Avancen im Zwischenmenschlichen
  • Aufmerksamkeit zurück
  • sinnhafte Erfüllung genauso wie Erfolg und Geld.

Kurzvita:
Jon Christoph Berndt ist Spezialist für Profilierung und Vermarktungserfolg. Mit der brandamazing Managementberatung verschafft er Unternehmen und Menschen mehr Aufmerksamkeit. Er ist gefragter Vortragsredner, Gesprächspartner für TV, Presse und Radio, Autor zahlreicher Bücher und Dozent an der Universität St. Gallen.

www.jonchristophberndt.com

Buchinfo:
Sachbuch „Aufmerksamkeit: Warum wir sie so oft vermissen und wie wir kriegen was wir wollen“, 2017, Econ Verlag, 224 Seiten, € 16.99: Anhand scharfsinniger Beobachtungen sensibilisiert Jon Christoph Berndt uns für diesen Faktor, der im gesellschaftlichen Miteinander immer entscheidender wird. Und zeigt auf, wie wir alle vom neuen Umgang mit der Aufmerksamkeit profitieren – privat, geschäftlich und gesellschaftlich. Er beschreibt sie als unterschätzten und vernachlässigten, dabei aber ganz entscheidenden Erfolgstreiber.