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Gemeinschaftsdiagnose im Herbst 2016: Deutsche Wirtschaft gut ausgelastet – Wirtschaftspolitik neu ausrichten

29. September 2016

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem moderaten Aufschwung. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr um 1,9 Prozent und im kommenden Jahr um 1,4 Prozent zulegen. Im Jahr 2018 dürfte die Expansionsrate bei 1,6 Prozent liegen. Die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten sind damit im Prognosezeitraum etwas stärker ausgelastet als im langjährigen Mittel. Dennoch sind es derzeit weniger die Unternehmensinvestitionen, die den Aufschwung tragen: Von der Weltkonjunktur gehen nur geringe stimulierende Effekte aus, so dass die Exporte nur moderat steigen; zudem dürften sich in den außerordentlich niedrigen Kapitalmarktzinsen nicht nur die derzeitige Geldpolitik, sondern auch niedrige Wachstumserwartungen widerspiegeln. All dies hemmt die Ausrüstungsinvestitionen. So ist es weiterhin in erster Linie der Konsum, der den Aufschwung trägt. Der private Verbrauch profitiert dabei insbesondere vom anhaltenden Beschäftigungsaufbau, beim öffentlichen Konsum machen sich weiterhin die hohen Aufwendungen zur Unterbringung und Integration von Flüchtlingen bemerkbar. Der Wohnungsbau wird durch die niedrigen Zinsen angeregt.

Die Weltwirtschaft hat sich im Sommer dieses Jahres belebt, nachdem der Produktionsanstieg in der ersten Jahreshälfte sehr verhalten war. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürfte die Produktion inzwischen wieder stärker ausgeweitet werden, und die Konjunktur in den Schwellenländern stabilisiert sich. In der Grundtendenz ist die weltwirtschaftliche Dynamik allerdings nach wie vor geringer als in den Jahren vor der Großen Rezession.

Für die USA zeichnet sich nach einem schwachen ersten Halbjahr ein Anziehen der Produktion ab. In Japan dürfte neue Konjunkturprogramme die Wirtschaft stimulieren, auch wenn die deutliche Aufwertung des Yen dämpfend wirkt. Für den Euroraum hat sich die Erholung im Sommer wohl in wenig verändertem Tempo fortgesetzt. In China wurde die Produktion im zweiten Quartal auch aufgrund expansiver wirtschaftspolitischer Maßnahmen deutlich stärker ausgeweitet als in den drei Monaten zuvor. In Russland und Brasilien, die sich in der Rezession befanden, bessert sich die konjunkturelle Lage etwas, wozu auch steigende Exporterlöse aufgrund der seit Jahresbeginn anziehenden Rohstoffpreise beigetragen haben dürften. Die Geldpolitik in den großen Währungsräumen ist seit Längerem ausgesprochen expansiv ausgerichtet. Von der Finanzpolitik dürften in vielen Regionen zurzeit stützende Effekte auf die Konjunktur ausgehen.

Im weiteren Prognoseverlauf dürfte sich die Expansion in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften mit etwas geringerem Tempo fortsetzen. Getragen wird die weltwirtschaftliche Expansion voraussichtlich weiterhin vom privaten Konsum. Die Beschäftigung in den USA, im Euroraum und in Japan dürfte weiter spürbar zunehmen, wenngleich der Produktivitätsfortschritt voraussichtlich gering bleiben wird, so dass die Löhne nur allmählich schneller steigen dürften. Zudem fallen die Kaufkraftgewinne durch die niedrigen Ölpreise allmählich weg, was die Expansion des privaten Konsums wohl bremsen wird.

Die Investitionsgüternachfrage dürfte angesichts der steigenden Kapazitätsauslastung und der Alterung des Kapitalstocks allmählich zunehmen. Die Finanzierungsbedingungen werden im Prognosezeitraum voraussichtlich günstig bleiben. Die Investitionstätigkeit wird aber dadurch geschwächt, dass die Aussichten für Exporte in die Schwellenländer von dem sich dort abflachenden Wachstumstrend gedämpft werden. In Großbritannien dürfte insbesondere die Investitionstätigkeit unter der Brexit-1 Entscheidung leiden.

Die Weltproduktion wird trotz der Belebung im zweiten Halbjahr in diesem Jahr aufgrund der Schwäche zu Jahresbeginn lediglich um 2,3 Prozent ausgeweitet und damit deutlich langsamer als im Vorjahr. Im nächsten und im übernächsten Jahr wird die Expansion mit jeweils 2,7 Prozent voraussichtlich wieder stärker ausfallen.

Noch immer dominieren Abwärtsrisiken für die Weltkonjunktur. Die jüngsten Fiskalmaßnahmen stimulieren zwar aktuell die Produktion in China, das Risiko eines wirtschaftlichen Einbruchs ist auf längere Sicht aber gestiegen. In der Europäischen Union könnte die Verunsicherung, die etwa von Problemen in den Bankensektoren Italiens und Portugals oder von den Konflikten in Anrainerstaaten des östlichen Mittelmeers ausgeht, Konsum und Investitionen dämpfen. Vor allem aber stellen die Folgen der Entscheidung Großbritanniens für einen Austritt aus der EU ein Risiko dar. Da sich der Austrittsprozess wohl hinziehen und unklar bleiben wird, in welchem Maß der Gemeinsame Markt dem Land künftig offen stehen wird, könnten Großbritannien und in geringerem Maß auch die übrige Europäische Union vor einer langen Phase der Investitionszurückhaltung stehen. Sollte es darüber hinaus zu weiteren Desintegrationsschritten in der Weltwirtschaft kommen, könnten diese das Wirtschaftswachstum bremsen, insbesondere weil die Unsicherheit über die zukünftigen institutionellen und regulatorischen Rahmenbedingungen die Investitionsneigung der Unternehmen wohl spürbar dämpfen würde.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich weiterhin in einem moderaten Aufschwung. Die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten sind nunmehr etwas stärker ausgelastet als im langfristigen Mittel. Getragen wird der Aufschwung insbesondere von der Bauwirtschaft und den Dienstleistungssektoren sowie dem dort stattfindenden kräftigen Beschäftigungsaufbau. Die stabile Lohnentwicklung und die niedrigen Preissteigerungsraten lassen den privaten Konsum lebhaft expandieren. Aber auch die Konsumausgaben des Staates nehmen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration kräftig zu. Hingegen leistet die Industrie anders als in früheren Erholungsphasen einen nur unterdurchschnittlichen Beitrag. Die außerordentlich günstigen Finanzierungsbedingungen regen die Unternehmensinvestitionstätigkeit im Inland kaum an. Der nach wie vor hohe Finanzierungsüberschuss des Unternehmenssektors deutet darauf hin, dass ein großer Teil der Ersparnisse nicht in Deutschland, sondern im Ausland investiert wird; dies fließt auch in den hohen Leistungsbilanzüberschuss ein.

In der ersten Jahreshälfte 2016 expandierte das Bruttoinlandsprodukt recht kräftig. Maßgeblich dafür waren neben dem Konsum die Exporte, die von der zunehmenden Nachfrage vor allem aus Asien und aus Osteuropa profitierten. Allerdings hat sich das Expansionstempo der Produktion im zweiten Quartal deutlich verringert; die inländische Verwendung ging vorübergehend sogar zurück. Rückläufig waren im zweiten Quartal 2016 insbesondere die Unternehmensinvestitionen. Bei den Bauinvestitionen machte sich das witterungsbedingte Vorziehen von Bauvorhaben in das erste Quartal negativ bemerkbar. Zu der Verlangsamung der Expansion hat auch beigetragen, dass die Realeinkommensgewinne, die mit dem Ölpreisrückgang des vergangenen Jahres einhergingen, allmählich auslaufen.

Im dritten Quartal dürfte sich das gesamtwirtschaftliche Expansionstempo nochmals verringert haben. So sind die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe und der Export im Juli deutlich gesunken. Dazu dürften allerdings auch – in der Saisonbereinigung nur unzureichend erfasste – Schul- und Werksferien beigetragen haben. Zwar dürfte es im August eine Gegenbewegung gegeben haben, dennoch hat die Industrieproduktion angesichts der verhaltenen Auftragseingänge wohl etwas nachgegeben. Kräftig zugelegt haben dürfte indes die Bautätigkeit; das signalisieren hohe Auftragsbestände und das ifo Geschäftsklima im Bauhauptgewerbe. Auch in den Dienstleistungsbranchen, insbesondere in den Bereichen Handel, Verkehr und Gastgewerbe sowie Information und Kommunikation, spricht das hohe Niveau des ifo Geschäftsklimaindex für eine anhaltende Expansion.

Im vierten Quartal wird die Produktion insgesamt wohl wieder etwas stärker zunehmen. So hat sich die Stimmung unter den Unternehmen auf breiter Front deutlich aufgehellt. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor in einer sehr guten Verfassung und trägt den privaten Verbrauch. Die verfügbaren Einkommen steigen kräftig, vor allem weil die Beschäftigung weiter ausgeweitet wird.

Alles in allem dürfte das Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt des Jahres 2016 um 1,9 Prozent zunehmen; das 68-Prozent-Prognoseintervall reicht von 1,7 Prozent bis 2,1 Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen wird wohl um gut 500 000 Personen über dem Vorjahr liegen. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen sinkt aber nur leicht, um gut 100 000 Personen. Diese Diskrepanz geht nicht zuletzt auf die starke Zuwanderung zurück, die im Jahr 2016 das Erwerbspersonenpotenzial um 460 000 Personen erhöht. Ausschlaggebend ist hierfür vor allem die Zuwanderung aus den Staaten der Europäischen Union, während sich der Zuzug aus Fluchtregionen nur mit starker Verzögerung am Arbeitsmarkt bemerkbar macht. Infolge des Ölpreisrückgangs wird die Inflationsrate auch im Jahr 2016 mit 0,4 Prozent sehr niedrig sein. Die öffentlichen Haushalte werden im Jahr 2016 wohl einen Budgetüberschuss in Höhe von 20 Milliarden Euro aufweisen, konjunkturbereinigt beträgt der Überschuss 9 Milliarden Euro.

Für das Jahr 2017 ist ein Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 1,4 Prozent zu erwarten (Prognoseintervall -0,1 Prozent bis 2,9 Prozent). Wesentlicher Grund für die gegenüber 2016 niedrigere Rate ist die geringere Zahl an Arbeitstagen; kalenderbereinigt wird der Zuwachs im Jahr 2017 bei 1,6 Prozent liegen. Bei etwas lebhafterer Weltkonjunktur werden die deutschen Exporte nach und nach anziehen. Etwas kräftiger dürften die Importe im Zuge der recht hohen binnenwirtschaftlichen Dynamik expandieren. Bei weiterhin leicht positiver Produktionslücke dürfte die Investitionstätigkeit etwas angeregt werden. Die Inflationsrate wird – in erster Linie aufgrund der nicht mehr rückläufigen Ölpreise – wohl auf 1,4 Prozent steigen. Die Arbeitslosigkeit dürfte trotz anhaltendem Beschäftigungsaufbau geringfügig zunehmen, weil die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt langwierig ist; in der Arbeitslosenquote schlägt sich dies jedoch nicht nieder, sie wird wohl bei 6,1 Prozent verharren. Der Budgetüberschuss des Staates wird auf knapp 14 Milliarden Euro zurückgehen.

Für 2018 gehen die Institute davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in einer ähnlichen Größenordnung wie das Produktionspotenzial expandieren wird.

Die Risiken für diese Prognose resultieren hauptsächlich aus dem monetären und dem außenwirtschaftlichen Umfeld. So könnte die deutsche Wirtschaft auch kräftiger expandieren als hier prognostiziert, denn die monetären Rahmenbedingungen sind aus hiesiger Perspektive außerordentlich günstig. Dies könnte zum Beispiel die Bauwirtschaft stärker stimulieren als hier unterstellt. Allerdings könnte es angesichts sich abzeichnender Kapazitätsengpässe zu einem höheren Preisauftrieb in diesem Sektor kommen.

Die Abwärtsrisiken hängen vor allem mit gesellschaftlichen Strömungen zusammen, aus denen sich eine Reduktion des weltwirtschaftlichen Integrationsgrades ergeben könnte. Ein Beispiel für solche Strömungen ist die Entscheidung der britischen Bevölkerung für einen EU-Austritt. Sie könnte die deutsche Konjunktur im Prognosezeitraum beeinträchtigen. Für diese Prognose wird angenommen, dass die Unternehmen in ihrem Investitionsverhalten nicht maßgeblich durch die Brexit-Entscheidung verunsichert werden; dies legen die bislang vorliegenden Indikatoren nahe. Sollten die Europäische Union und Großbritannien in den Austrittsverhandlungen auf harte Konfrontation setzen oder sich eine erhebliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Regionen abzeichnen, so wird dies die britische Wirtschaft stärker beeinträchtigen als von den Instituten erwartet und insbesondere die britische Nachfrage nach Investitions- und anderen Importgütern schwächen. Vor allem die deutschen Exporte, aber auch die Investitionsnachfrage im Inland werden dann geringer ausfallen als hier prognostiziert.

Die Brexit-Entscheidung ist Ausdruck davon, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile internationaler ökonomischer Integration bei Teilen der Bevölkerung nicht ankommen oder von Vielen zumindest nicht wahrgenommen werden. Sollte dieses Phänomen auch in anderen Regionen der Welt verstärkt Einfluss auf die Politik gewinnen, wird das Wachstumspotenzial der Weltwirtschaft geringer ausfallen als hier unterstellt. Diese Entwicklung betrifft insbesondere auch Deutschland, das wie kaum ein anderes vergleichbares Land seinen Wohlstand aus der Integration in die Weltwirtschaft schöpft. Daher ist die Wirtschaftspolitik hierzulande besonders gefordert, dem Protektionismus entgegen zu wirken.

Die Finanzpolitik setzte in den vergangenen Jahren ihre Prioritäten zumeist bei konsumtiven und verteilungsorientierten Ausgaben anstatt bei wachstumsorientierten Maßnahmen. Angesichts der Herausforderungen durch die Flüchtlingsmigration, aber auch langfristiger Belastungen für die deutsche Wirtschaft, wie sie insbesondere im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung absehbar sind, ist eine Neuausrichtung der Politik dringend angezeigt. Die Institute bekräftigen ihre Forderung nach einer Orientierung an langfristigen Zielen. Investive Ausgaben für Sach- und insbesondere Humankapital sowie eine beschäftigungsfreundliche Entlastung bei den Steuern und Sozialbeiträgen würden das Produktionspotenzial erhöhen.